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Sonntagsreden
Kurz: Ärzte und Zahnärzte verfolgen, wie die meisten Menschen, zunächst ihre eigenen Interessen. Durch marktwirtschaftlichen Wettbewerb ist es möglich, dass der Anbieter, der die Interessen seiner Patienten am besten berücksichtigt auch selbst den größten Gewinn hat. Wer die Bedürfnisse der Patienten am besten befriedigt hat den größten Zulauf und die höchsten Einnahmen. Zugleich sollte der Patient aber auch kritisch prüfen können, ob in der Tat in seinem Interesse behandelt wird oder ob er in dieser Hinsicht zum Vorteil der Gesundheitswirtschaft und zu seinem eigenen Nachteil getäuscht wird.
Das Wohl der Patienten ist in aller Munde. Politiker beschwören es in ihren Reden, die Ärzte und Zahnärzte schreiben es auf ihre Fahnen.
Natürlich ist das Propaganda und zunächst Unsinn. In erster Linie verfolgen Zahnärzte ihr eigenes Wohl, desgleichen Ärzte, Politiker usw.. Das soll kein Vorwurf sein, sondern wir stellen, eine im Grunde jedem bekannte, Tatsache fest.
Eigennutz
Wie kommt es dazu, dass dennoch das Wohl der Patienten berücksichtigt wird? Das ist die entscheidende und wirklich spannende Frage, jenseits von allem Gerede über das "Wohl des Patienten".
- Liegt es daran, dass die Zahnärzte moralische Menschen sind, die einfach Gutes tun wollen, um ihren Mitmenschen zu helfen?
- Oder liegt es daran, dass die Zahnärzte, wie alle anderen Wirtschaftsteilnehmer, dafür bezahlt werden, wenn sie zum Wohl ihrer Patienten, Klienten, Kunden ... arbeiten?
Ich denke der zweite Punkt überwiegt, wenn auch ethische Gesichtspunkte eine Bedeutung haben, die in der rein wirtschaftlichen Sichtweise unterschätzt wird, doch dazu später.
Markt als Vermittlung der Egoismen
Man muss, und darf, davon ausgehen, dass ein Zahnarzt seinen eigenen Nutzen vermehrt, indem er möglichst gut im Interesse der Patienten behandelt, denn dann hat er viele Patienten, die auch bereit sein werden seine Dienste gut zu bezahlen. Und bezahlt wird um so reichlicher, je höher der Wert der Leistung oder Ware eingeschätzt wird.
Adam Smith wird mit den folgenden Sätzen häufig zitiert:
"It is not from the benevolence of the butcher the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity, but to their self-love, and never talk to them of our own necessities, but of their advantages [An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. I.ii.2]."
Übersetzt: "Es ist nicht die Wohltätigkeit des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers, die uns unser Abendessen erwarten lässt, sondern dass sie nach ihrem eigenen Vorteil trachten."
Nun scheint die Vermittlung von wirtschaftlichen Eigeninteressen der "Gesundheitswirtschaft" und den Patienten geklärt. Oder doch nicht ganz? Ergeben sich nicht, so zeigt es doch schon die Alltagserfahrung, fortwährend Konflikte? Worin liegt der Grund für diese Konflikte und was hat das Ganze mit evidenzbasierter Medizin zu tun?
Wirtschaftlich klug und vernünftig handeln heißt, seine Einnahmen und sein Vermögen möglichst hoch halten und gleichzeitig die Ausgaben möglichst gering: hohe Einnahmen, niedrige Ausgaben.
Reibungen
Hier ergeben sich dann auch die Interessenkonflikte zwischen Gesundheitswirtschaft und Patienten.
Der Gewinn der Gesundheitswirtschaft ist umso größer, je mehr bei den Ausgaben gespart wird. Gleichzeitig erwarten aber die Patienten eine optimale Versorgung. Sie erwarten, dass bei den Leistungen für ihre Gesundheit nicht auf Kosten der Qualität möglichst billig gearbeitet wird.
Täuschung
Jetzt kann die Gesundheitsökonomie eine im Wirtschaftsleben bekannte Strategie anwenden: Sie kann die Ausgaben senken und damit auch die Qualität der Leistungen senken, wenn, und das ist der springende Punkt, wenn der Patient und seine Interessenvertretung nichts davon merken.
Beispielsweise kann eine Zahnarztpraxis darauf verzichten, die Bohrer nach jeder Behandlung zu sterilisieren. Der Patient bemerkt in der Regel nicht, ob alles steril ist oder ob lediglich zwischen den Behandlungen kostensparend desinfiziert wurde. Desgleichen dürfte der Patient nicht immer bemerken, ob teure und gute Materialien oder billige und nicht ganz so gute Materialien verwendet werden. Sofern die minderwertige und schlechtere Behandlungsqualität nicht vom Patienten erkannt wird, stellt sie keinen Wettbewerbsnachteil, sondern einen Wettbewerbsvorteil dar.
Hier ist ein wesentlicher Ansatz für die evidenzbasierte Zahnheilkunde:
Aufklärung
In der evidenzbasierten Medizin wird auch der Patient in einem vernünftigen und jeweils angepassten Ausmaß über die wissenschaftlich abgesicherte optimale Behandlung und die Alternativen informiert. Die evidenzbasierte Medizin sieht als eine ihrer drei Komponenten den informierten Patienten, der seine Wünsche, Bedürfnisse, Werte zur Geltung bringen kann. Das gelingt nur dem aufgeklärten Patienten.
Ein zweiter Ansatz für evidenzbasierte Medizin im Bereich der Gesundheitsökonomie ist die allgemeine Bewertung, ob ein diagnostisches oder therapeutisches Verfahren effizient ist, ob es einen größtmöglichen Nutzen bei angemessenen Kosten hat. Man kann also im Rahmen der evidenzbasierten Medizin wissenschaftlich begründete Kosten-Nutzen Betrachtungen durchführen. Ein heikles Kapitel allerdings, weil es hier um Geld geht und um die wirklichen Interessen der Gesundheitswirtschaft.
Manche Behandlungen füllen lediglich die Kassen, ohne dem Patienten in angemessener Weise zu nutzen. Und es gibt Verfahren, die dem Patienten besser helfen, aber für die Gesundheitswirtschaft nicht so hohe Gewinne abwerfen.
Diese evidenzbasierten Analysen sind z. T. durchaus gefürchtet und werden sogar an den Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit gedrängt. Man möchte sich nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen die guten Geschäfte verderben lassen.
Evidenzbasierte Patienteninformation dient auch dazu, wissenschaftlich gut begründete Sachverhalte von Werbung zu trennen. Natürlich versucht die Gesundheitswirtschaft, auch ihre Werbung im Gewand der wissenschaftlich basierten Information auftreten zu lassen. Auch diese Tarnversuche und Verschleierungen sind sehr spannend und gleichen bisweilen einem Krimi.
Ist die Lösung für die Nebelkerzen der Produktwerbung im Kleide wissenschaftlicher Information ein Verbot? Sollte man, so wie es das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin fordert, der Industrie untersagen Patienten zu informieren?
Ich denke das wäre der falsche Weg. Denn die Gesundheitswirtschaft ist kein einheitlicher, monolithischer Block, sondern besteht aus vielen konkurrierenden Teilnehmern. Und ein wichtiger Vorteil im Wettbewerb ist sicherlich die Wahrheit der eigenen Informationen und dann die Zuverlässigkeit und hohe Qualität der eigenen Produkte. Der Autor dieser Zeilen ist selbst Teil der Gesundheitsökonomie und setzt auf diese Grundhaltung der Richtigkeit von Informationen zur Vertrauensbildung.
Es ist vor allem die Frage der Alternativen, die einen stutzig macht, wenn von einem Verbot für Patienteninformationen seitens der Industrie gesprochen wird. Sollte der Staat hier ein Monopol der Patienteninformation erhalten. Betrachtet man die Informationspolitik totalitärer Systeme, so erscheint das nicht gerade als verlockende Alternative. Oder sollten allein unabhängige Medien informieren dürfen? Ich denke nicht, denn wem gehören diese Medien, von welchen Anzeigekunden sind sie abhängig? Oder sollten nur die Universitäten als Horte der Wissenschaftlichkeit Patienten "objektiv" informieren dürfen? Auch hier ergeben sich Fragen: Sind die Professoren wirklich unabhängig, sind sie nicht auf Drittmittel angewiesen, haben sie nicht teilweise selbst eigene, ausgelagerte Firmen, die Produkte auf dem Markt anbieten, und führen die Hochschullehrer, zumindest in Deutschland, nicht auch ihre eigene Privatpraxis in den - meist staatlichen - Hochschulen?
Die Lösung ist nicht ein Verbot der Patienteninformation für die "böse und parteiische" Industrie. Die Lösung ist vielmehr, dass sich der Interessierte aus einer Vielzahl möglichst hochwertiger, ganz unterschiedlicher Quellen informieren kann. Hierin liegt eine Hauptaufgabe der evidenzbasierten Medizin und Zahnmedizin.
Referenzen:
- Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations
Published: London: Methuen and Co., Ltd., ed. Edwin Cannan, 1904. Fifth edition. First published: 1776. - Gemeinsame Pressemitteilung des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention: Die Industrie kann Patienten nicht objektiv und ergebnisoffen informieren – DNEbM und DGSMP lehnen Pläne der EU-Kommission ab. Berlin, den 07. April 2008.